Von der Taste zur Pfeife

Der Organist sitzt am Orgelspieltisch, hat das Gebläse eingeschaltet und einen der 17 Registerknöpfe für die ausgewählte Klangfarbe gezogen. Nun drückt er eine Taste herunter, und wie durch ein Wunder erklingt irgendwo aus dem großen hellgrauen Orgelgehäuse genau die richtige Pfeife. Wie kommt es nur, dass sich genau diese eine Pfeife von den insgesamt 936 Pfeifen unserer Bordenauer Bethmann-Orgel angesprochen fühlt und den erwünschten Ton von sich gibt? Das Niederdrücken der Taste wird aufgenommen von einem dünnen Metallstab, der seinerseits übergibt den Tasten-Befehl über einige Kipphebel weiter und zieht an einigen langen und ganz schlanken Holzstreifen (Foto). Über mehrere Umlenkmechaniken und diverse minimale Achsdrehungen an einer Welle gelangt der Wunsch des Orgelspielers dann nach einem langen Weg in einen windgefüllten Kasten, zieht an einem kleinen Ventil und gibt damit dem Wind den Weg frei, um genau in die richtige Orgelpfeife einzuströmen. Der lange mechanische Weg von der Taste zur Pfeife findet „in Echtzeit“ statt: Sowie die Taste niedergedrückt wird erklingt der Ton. Alle dabei zum Einsatz gekommenen Übertragungsteile wurden genauestens justiert, sollen möglichst leichtgängig sein, ihre Befehle geräuschlos umsetzen und bei jedem Raumklima zuverlässig funktionieren. Diesen gesamten Bewegungsapparat gibt es in unserer Orgel 54mal für die Klaviatur des Hauptwerks, 54mal für die obere Tastenreihe, und noch 25mal zu Füßen des Organisten, also für das Pedal. Es mögen in der Summe gut einige Tausend Teilchen sein, die über Jahrzehnte hinweg klaglos als „Mechanische Traktur“ funktionieren (Foto oben). Organisten loben die Pfeifenansteuerung über diese mechanischen Hebelwege, weil sie dadurch einen direkten Kontakt und Druckpunkt zum Wind, zur Pfeife und damit zum Ton spüren.

Seit etwa 1880 entstanden viele große Orgeln mit einer Pneumatischen Traktur. Anstelle der vielen beweglichen Hebelteile wurde der Tastenbefehl mittels eines Luftstroms übertragen, der durch kleine Bleirohre bis hin zur Pfeife gelangte. Das war insbesondere bei sehr großen Orgeln einfacher zu bauen, führte aber oft dazu, dass der Pfeifenton erst mit großer Verzögerung vom Moment des Tastendrückens an erklang. 

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nutzte man auch die aufkommende Elektrik im Orgelbau. Selbst die weitesten Wege vom Spieltisch des Organisten bis hin zur Pfeife konnten durch Kabel überbrückt werden, Elektromagneten öffneten kleine Ventile, und zuletzt erklang wieder - wie von Zauberhand - der richtige Orgelton. Oft wurde auch die Pneumatik mit der Elektrik verknüpft. Die Störanfälligkeit nahm zu, die Langlebigkeit nahm ab. 

Fragen wir am Ende des Tages und nach langen Irrungen und Wirrungen des technischen Fortschritts im Orgelbau unseren Organisten, worauf er am liebsten spielt, dann huscht ein leichtes Strahlen über sein Gesicht, wenn er die mechanische Traktur lobt, weil sich erwiesen habe, „dass sie mit Abstand die zuverlässigste und dauerhafteste Traktur ist, wenn sie gut konstruiert und insgesamt nicht zu schwergängig ist!“

                                                      Text und Fotos: Hanns Stahmer