Luft oder Wind - die „Lunge“ der Orgel

Liebe Leserin lieber Leser, was wären wir ohne unsere gesunden Lungenflügel! Auch eine Orgel braucht als kräftige Lunge ihre Blasebälge. Dank dieser Eintragung (Foto) von Christian Bethmann in seinem Werkstattbuch vom 26. Juli 1821 wissen wir, dass unsere Bordenauer St.Thomas-Orgel ursprünglich über „2 Blasebälge a´ 8 Fuß x 4 1/4“ verfügte. Von diesen beiden jeweils fast 2,50 m langen und ca 1,30 m (!) breiten, keilförmigen Luftbägen ist heute nichts mehr zu sehen. Vermutlich standen sie auf der Rückseite der westlichen Orgelwand in der Kammer, in der heute die Requisiten vom Krippenspiel aufbewahrt werden. 

Als jedoch unser Dorf Bordenau etwa um 1919 an das allgemeine Stromnetz angeschlossen wurde, wollte man diesen Fortschritt auch unserer Orgel zukommen lassen und rüstete ihre `Lunge´ so um, dass zur Tonerzeugung der Orgelpfeifen kein Balgtreter mehr die Blasebälge bedienen mußte. Stattdessen erzeugt seit diesem Umbau ein schnelllaufender Gebläsemotor den - wie der Orgelbauer sagt - erforderlichen „Wind“. Die beiden nächsten Fotos zeigen das Bordenauer Gebläse sowie einen der zwei - wie wir heute wissen - leider viel zu kleinen Reservebälge. Der dadurch instabile, also leicht zittrige und ungleichmäßige Winddruck bringt die vielen hervorragenden alten Pfeifen nicht optimal zum Klingen. Orgelfachleute bemängeln, unsere Bethmann-Orgel sei wegen dieser zur „Schrumpflunge“ reduzierten Windanlage zu „windstößig“.  

Würde man heute zwei Menschen nacheinander auffordern, auf ein und der selben Blockflöte den gleichen Ton zu blasen, könnte es passieren, dass der eine Spieler einen lieblichen Flötenton hervorbringt, während beim anderen Spieler nur ein quäkiges „tuut“ erklingt. Wie kann das sein? Dieser Versuch zeigt die große Bedeutung einer optimalen Versorgung der Orgelpfeifen mit gutem Wind. Unter „gutem Wind“ verstehen wir jedoch nicht mehr die Ende des 19. Jahrhunderts angestrebte absolute Wind-Stabilität. Das „Atmen“ der Orgel erfolgte früher schöner, natürlicher und flexibler, und brachte die verschiedenen Pfeifen durch den sog. „lebendigen Wind“ optimal zum Ansprechen und Klingen. Der Erbauer der Bordenauer Orgel, also der Schnitger-Enkelschüler Christian Bethmann, fertigte für unser Instrument hervorragende Pfeifen an, die heute nur darauf warten, durch eine deutlich verbesserte Windanlage aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt zu werden. 

Wenn es gelingt, jedem Pfeifenregister wieder seinen eigenen Charakter zurückzugeben, wenn die verschiedenen Register zugleich wieder in ein gut miteinander kombinierbares Mischungsverhältnis gebracht werden können und wenn der Orgelklang insgesamt wieder optimal auf die Raumverhältnisse von St. Thomas abgestimmt werden konnte, dann mögen die Bordenauer Gottesdienst- und Konzertbesucher gerne sagen: „Ich wußte gar nicht, dass wir da oben auf unserer Empore ein solches Schatzkästchen hatten!“. 

Im nächsten Gemeindebrief erfahren Sie, was unser 200jähriges Bordenauer Schatzkästlein in seinem langen Leben noch so alles erlebt hat! Und: Achten Sie bitte auf die Gesundheit ihrer Lunge!      

Hanns Stahmer